Vegetarier sind auch Mörder
Text: jan-stremmel - Foto: dpa
Wer kein Fleisch isst, weil er Tiere mag, sollte nochmal nachdenken: Beim Anbau von Getreide sterben angeblich 25 mal mehr Lebewesen als bei vernünftiger Tierzucht. Ein Blogger, der das erklärt hat, wird von wütenden Veganern beschimpft. Dabei hat er Recht.
"Der größte Irrtum vieler Vegetarier und Veganer ist, dass für ihre Ernährung niemand sterben müsse. (...) Pro Kilo nutzbaren Proteins aus Getreide werden 25 mal mehr fühlende Wesen getötet als durch nachhaltige Fleischproduktion."
Wo steht das denn?
In einem Eintrag auf Urgeschmack.de, einem Blog für gesunde und nachhaltige Ernährung. Der Text trägt den Titel "Verursachen Vegetarier mehr Blutvergießen als Fleischesser?" – und hat so viel Wut unter Fleischgegnern ausgelöst, dass der Blogger Felix Olschewski nach zwei Tagen die Kommentare abschalten musste.
Worum geht es?
Um die Frage, wie wir uns ernähren sollten. Eine Frage, in der Vegetarier und Veganer sich für gewöhnlich in der Vorbildrolle fühlen. Sie essen kein Fleisch, ergo: Für sie werden keine Ställe errichtet, Hühner, Schweine oder Rinder mit Antibiotika gedopt, mit Kraftfutter gemästet, in Lastwagen gepfercht und industriell geschlachtet. Wer kein Fleisch isst, so das Selbstverständnis, lebt ökologisch und ethisch korrekter.
Stimmt nicht, schreibt Felix Olschewski nun. Nur pflanzliche Lebensmittel zu essen, ist nicht besser - es ist vielleicht sogar schlimmer. Und zwar sowohl für die Tier- als auch für die Umwelt. Wer Vegetarier oder Veganer ist und glaubt, damit den Planeten zu retten, macht sich was vor.
Eine nicht gerade flache These. Dabei ist Olschewski keineswegs ein ideologischer Steak-Apologet. Er stellt gleich zu Anfang fest, dass "konventionelle" Fleischproduktion, also Massentierhaltung, Ressourcen verschwendet und der Umwelt schadet. Das stehe außer Frage. Wer aber "Weidefleisch" esse, also Rindfleisch von Tieren, die sich von Gras ernährt haben statt von Kraftfutter, habe deutlich weniger tote Lebewesen zu verantworten als ein Veganer oder Vegetarier, der sich von normalem Gemüse ernährt.
Auch hier klebt Blut dran: Die konventionelle Gemüseproduktion ist ein Tierkiller.
Denn wo Mais, Kartoffeln, Salat oder Soja – die wichtigste Alternative zu Fleisch – gepflanzt wird, geschieht das fast immer in Monokulturen. Und die sind nie ein gesunder Lebensraum. Insekten gehen ein, Mäusefamilien sterben qualvoll an Pestiziden und Herbiziden, Rehkitze werden von Erntemaschinen zerfetzt. Auch wer nie ein Stück totes Tier auf dem Teller hat, muss also tote Tiere verantworten. Und zwar, an dieser Stelle müssen die Veganer heftig geschluckt haben: ein vielfaches mehr als ein bewusster Steak-Esser.
Bei der Produktion pflanzlicher Lebensmittel sterben 25 mal mehr Lebewesen als bei der Produktion von Weidefleisch, schreibt Olschewski. Für das muss nämlich nichts gerodet und nichts angebaut werden: Die Rinder ernähren sich von einer natürlichen Ressource der Umwelt, die für den Menschen ohnehin nicht nutzbar wäre: Gras.
Olschewski behauptet das nicht nur – er belegt es auch mit allerlei wissenschaftlichen Artikeln. Die These, dass die Kollateralschäden von Gemüseanbau höher sind als die von nachhaltiger Tierzucht, ist nämlich nicht neu. Es hat sie nur noch niemand so zugespitzt aufgeschrieben. Das erklärt den Tsunami an Kommentaren von erbosten Veganern und Vegetariern, der sich vergangene Woche über Olschewskis Facebook-Seite ergoss. Die meisten davon hatten offenbar den Hinweis auf "Weidefleisch" überlesen – und dachten, Olschewski lobe die Massentierhaltung. Die ersten paar Dutzend Kommentare beantwortete Olschewski noch geduldig – als die Beleidigungen persönlich wurden, schaltete er die Kommentarfunktion ab und löschte den Facebook-Post.
"Beim Essen hat immer jemand das Nachsehen."
"Ich war selbst überrascht", sagt er heute, "wie viel Unzufriedenheit und Selbsthass offenbar in vielen besonders vegetarisch und vegan lebenden Menschen steckt."
Denn die These seines Artikels ist ja keineswegs, dass Fleischessen besser sei als eine vegetarische Ernährung. Er schreibt bloß: Wir müssen akzeptieren, "dass beim Essen immer jemand das Nachsehen hat." Wer eine Beere pflückt, nimmt sie einem Vogel weg, wer einen Acker anlegt, zerstört einen Lebensraum für Tiere.
Wie sollten wir uns also ernähren, um das Ökosystem möglichst wenig zu belasten? Olschewski schreibt: Die "Wir"-Form funktioniert nicht. Es gibt keine absolute Wahrheit. Jeder sollte sich so ernähren, wie es die eigene Umgebung am besten zulässt. Wer also in der Nähe von gutem Weideland lebt, für den kann Fleisch die nachhaltigere Ernährung sein als Gemüse. Wer in Küstennähe lebt, sollte Fisch essen. In den Tropen: Obst.
Beim Thema Obst teilt Olschewski noch einen Seitenhieb aus: Sogar Frutarier, die sich ja von Obst ernähren, weil es von der Natur zum Verzehr vorgesehen ist, störten das Ökosystem. Nämlich dann, wenn sie eine Toilette benutzen. Und die Samen in den Früchten nicht in der Umwelt landen - sondern im Klärwerk.